Die meisten Immobilieninvestoren konzentrieren sich zunehmend auf die sozialen Aspekte von Umwelt-, Sozial- und Governance-Strategien (ESG). Da es jedoch nur wenige Vorschriften, Leitfäden oder anerkannte Best Practices gibt, ist es nicht einfach, einen Ansatz festzulegen. Es ist viel schwieriger zu messen als Kohlenstoffemissionen oder andere Umweltverbesserungen. Dies gilt insbesondere für bezahlbaren Wohnraum.
Wir verwenden unsere eigene Methodik zur Definition, Messung und Bewertung der Erschwinglichkeit von Wohnraum auf Markt-, Fonds- und Objektebene. Unsere europäische Wohnimmobilienplattform mit einem Volumen von 7 Milliarden Euro bietet eine umfangreiche Datengrundlage. Sie gibt uns die Möglichkeit zu beurteilen, was Erschwinglichkeit wirklich bedeutet, und fundiertere Entscheidungen für unsere Wohnstrategien zu treffen.
Wie beurteilt man die Erschwinglichkeit?
Es herrscht ein chronischer Wohnungsmangel, und zwar weltweit. Eine Analyse des Weltwirtschaftsforums schätzt, dass bis 2030 jeden Tag 96.000 Wohnungen fertiggestellt werden müssten, um den wachsenden Bedarf zu decken[1]. Unseren Berechnungen zufolge werden derzeit weniger als 18 000 Wohnungen pro Tag fertiggestellt, was weniger als 20 % der benötigten Menge entspricht.
Angesichts des mangelnden Angebots überrascht es nicht, dass die Wohnkosten weit stärker gestiegen sind als die realen Haushaltseinkommen - ein Trend, der sich während der Pandemie noch beschleunigt hat. Seit 1960 sind die durchschnittlichen Hauspreise im Vereinigten Königreich um das Vierfache der Haushaltseinkommen gestiegen[2]. Da die Verknappung des Angebots offenbar unumkehrbar ist, wird sich das Problem weiter verschärfen. Dies wird zu größerer Wohnungsknappheit führen und die sozioökonomischen Ungleichheiten verstärken.
Die Immobilienbranche debattiert seit Jahrzehnten über das Thema bezahlbaren Wohnraums. In unserem 2023 veröffentlichten Artikel "European tenants: the search for affordable housing" zeigt jedoch, dass kaum Einigkeit darüber besteht, wie die Herausforderung richtig zu definieren ist, geschweige denn, dass es einen klaren Weg zu ihrer Bewältigung gibt.
Wir sind der Meinung, dass die Definition dessen, was Erschwinglichkeit bedeutet, der erste Schritt zur Entwicklung einer Lösung ist
Erschwinglichkeit definieren und ermitteln
Wir glauben, dass die Definition dessen, was Erschwinglichkeit bedeutet, der erste Schritt zur Entwicklung einer Lösung ist. Es gibt viele Definitionen, und lokale Nuancen trüben das Bild, aber wir können zumindest mit vernünftigen Annahmen beginnen.
Wir stufen eine Marktmiete als erschwinglich ein, wenn sie weniger als 30-40 % des geschätzten verfügbaren Haushaltseinkommens in der Region beträgt. Es gibt auch andere Methoden, wie z. B. die Festlegung eines Mietniveaus, das 15 bis 20 % unter der Marktmiete liegt. Der Grund für die Einkommensspanne ist, dass die Erschwinglichkeit von Land zu Land unterschiedlich ist und von verschiedenen Faktoren abhängt, wie z. B. den Lebenshaltungskosten und der Kaufkraft. An manchen Orten sind die Marktmieten so hoch, dass selbst ein reduzierter Mietpreis die Erschwinglichkeit einschränkt.
Selbst bei der von uns bevorzugten einfachen Prüfung der Erschwinglichkeit gibt es mehrere Aspekte, die zu berücksichtigen sind.
- Marktmieten lassen sich nur schwer einheitlich ermitteln, da jede Wohnung einzigartig ist und von objektspezifischen und mikroökonomischen Einflüssen abhängt. Einige Wohnungen in einem Wohnblock erzielen eine höhere Miete, wenn sie über eine "Doppelausrichtung" (Fenster auf mehr als einer Seite der Wohnung) verfügen oder eine außergewöhnliche Aussicht bieten. Manchmal sind die Heizkosten in der Miete enthalten (so genannte Warm- oder Kaltmieten), oder die Wohnungen sind möbliert.
- Die Daten zum Einkommen der privaten Haushalte sind unvollkommen und verschleiern bei Betrachgung des „Durchschnitts“ oft eine erhebliche Streuung oder Polarisierung um den Mittelwert. Mit anderen Worten: Die Haushaltseinkommen sind nicht gleichmäßig verteilt und variieren von einer Stadt zur anderen. Durchschnittswerte verbergen die entscheidende Information: Wie viele Haushalte können sich die Marktmiete leisten?
- Weder die Mieten noch die Haushaltseinkommen sind statisch. Die Mieten können aufgrund von Indexierungen an die Inflation, Anpassungen an den freie Markt, festen Erhöhungen (Staffel) oder über einen lokalen Mietspiegel steigen. Die Haushaltseinkommen unterliegen dem makroökonomischen Druck auf den Arbeitsmärkten und den Auswirkungen der Inflation, während die Nettoeinkommen auch an Änderungen bei den Steuern oder anderen absetzbaren Kosten beeinflusst werden. Die Erschwinglichkeit kann von verschiedenen Seiten unter Druck geraten, was bedeutet, dass eine regelmäßige Überprüfung der Schlüsselkomponenten unerlässlich ist.
abrdn's Analyse der Erschwinglichkeit der Miete
Angesichts dieser theoretischen Herausforderungen haben wir einen Ansatz entwickelt, der es uns ermöglicht, fundiertere Bewertungen der Erschwinglichkeit in den europäischen Großstädten vorzunehmen. Ausgangspunkt für diese Analyse sind konsistente Daten für Metropolregionen über die Verteilung der privaten Haushalte auf verschiedene Einkommensgruppen.
Unsere Analyse der Erschwinglichkeit des Mietmarktes analysiert nicht nur den Schwellenwert für die Erschwinglichkeit, sondern auch die Frage, welcher Anteil der Haushalte in der Metropolregion sich eine Wohnung zur Marktmiete leisten kann. Wir haben die Flexibilität zu definieren, welcher Anteil des verfügbaren Einkommens für die Miete aufgewendet werden darf, um lokale Faktoren zu berücksichtigen, wie z. B. in der Miete enthaltene Heizkosten oder zusätzliche Miete für Möblierung. In unserer Analyse verwenden wir in der Regel eine Spanne von 30-40 % des Haushaltseinkommens. Wir können auch das Basisjahr wählen, das wir für die Analyse verwenden wollen.
Wir haben auch die Möglichkeit hinzugefügt, die Erschwinglichkeit verschiedener Wohnungsgrößen zu analysieren, um den relativen Druck auf dem Mietmarkt besser zu verstehen. Größere Wohnungen sind teurer zu mieten. Wenn man jedoch nicht weiß, welcher Anteil der Haushalte in einem Ballungsraum sich die einzelnen Wohnungstypen leisten kann, geht ein entscheidender Aspekt der Realität bei der Beurteilung der Erschwinglichkeit verloren.
Die Einkommensverteilung kann sehr unterschiedlich sein, auch zwischen den europäischen Großstädten. Dies hat erhebliche Auswirkungen auf die Erschwinglichkeit des Wohnungsmarktes für verschiedene Wohnungstypen. Abbildung 1 zeigt, dass sich in Berlin etwa 10 % weniger Haushalte die Miete von Zimmern, Studios oder Mehrzimmerwohnungen leisten können als in Paris.
Abbildung 1: Einkommens- und Mietmerkmale in Paris und Berlin. Aufgrund des größeren Anteils von Haushalten mit höherem Einkommen in Paris können sich mehr Haushalte in Paris Marktmieten leisten als in Berlin, wo der Anteil der Haushalte mit niedrigerem Einkommen immer noch größer ist.
Paris: Einkommens- und Mietmerkmale
Berlin: Einkommens- und Mietmerkmale
Konkrete Einsatzmöglichkeiten unseres Tools
Einer der Hauptvorteile des Tools besteht darin, dass es uns ermöglicht, die tatsächlichen Mietkosten von Wohnungen in unseren eigenen Portfolios zu verwenden, um die Theorie zu testen. abrdn verwaltet in Europa mehr als 30.000 Wohnungen im Wert von über 7 Milliarden Euro , so dass wir über einen umfangreichen Pool an anonymisierten Daten verfügen, anhand derer wir unser Erschwinglichkeitstool testen können. Wir können nachvollziehen, wie die Mieten in unseren Wohnungen im Vergleich zum Marktniveau und zu den Erschwinglichkeitskriterien für verschiedene Wohnungsgrößen aussehen. Wir können Immobilienmerkmale und Performancedaten miteinander verknüpfen, um zu zeigen, wie sich die relative Erschwinglichkeit auf den Erfolg bestimmter Wohnanlagen auswirkt. Wir können auch lernen, wie wir Objekte erstellen und verwalten können, die für unsere Bewohner funktionieren.
Mit diesem Tool können wir nicht nur sicherstellen, dass wir Wohnungen verwalten, die den Erschwinglichkeitskriterien der jeweiligen Region entsprechen, sondern auch herausfinden, was eine Wohnimmobilie bei den Bewohnern beliebt und erfolgreich macht. Schließlich sind wir davon überzeugt, dass zufriedene Bewohner die Grundlage für funktionierende und erfolgreiche Wohninvestments sind.
Auf dem richtigen Weg
Durch die Entwicklung eines Tools zur Beurteilung der Erschwinglichkeit von Mietwohnungen in ganz Europa verfügen wir nun über einen klaren, reproduzierbaren und flexiblen Ansatz. Damit können wir die Erschwinglichkeit auf dem Markt einschätzen und einen Rahmen für unsere Wohnungsinvestitionen in Europa schaffen. Dies wird die Wohnungskrise nicht lösen, aber es ermöglicht uns, den Erschwinglichkeitsdruck unserer Bewohner zu verstehen und hilft uns, unsere Wohnstrategien fundierter zu gestalten. Diese Art der Messung der Erschwinglichkeit ist keine exakte Wissenschaft und wird sich im Laufe der Zeit weiterentwickeln, aber wir glauben, dass sie eine transparente und flexible Methode zur Einschätzung der Erschwinglichkeit von Mietwohnungen darstellt.