Vergangenes Jahr fiel der Erdüberlastungstag auf den 29. Juli. Dies ist der Tag des laufenden Jahres, an dem die menschliche Nachfrage nach nachwachsenden Rohstoffen das übersteigt, was die Erde in diesem Jahr regenerieren kann. Anders ausgedrückt: Die Ressourcen von ca. 1,7 Erden wären erforderlich, um mit dem globalen Verbrauch Schritt zu halten.

Der Überkonsum natürlicher Ressourcen und die daraus resultierenden Umweltschäden stellen eine Nachhaltigkeitskrise dar, die dem Klimawandel in nichts nachsteht und eng damit verbunden ist.

Wenn wir nicht dringend handeln, steuern wir auf ein Aussterbeereignis – das Verschwinden von Fauna und Flora – in einem Ausmaß zu, das die Erde seit dem Aussterben der Dinosaurier vor in etwa 65 Millionen Jahren nicht mehr gesehen hat.

Biodiversität bezieht sich auf Vielfalt des Lebens auf der Erde. Schätzungen des World Economic Forum zufolge ist mehr als die Hälfte der Weltwirtschaftsleistung – in etwa 44 Billionen US-Dollar – in geringem oder großem Ausmaß von der Natur und gesunden Ökosystemen abhängig. Ein Wandel ist daher dringend notwendig.

Dieser wird bereits in Gang gesetzt, da die Welt endlich erkannt hat, dass die lebenserhaltenden Systeme des Planeten dringend geschützt werden müssen.

Biodiversitätsverlust – der Weg in die nächste Umweltkrise ist der erste von zwei Beiträgen, die beleuchten, wie wichtig der Erhalt von Biodiversität ist, um nachhaltiges Wachstum zu unterstützen. Die Beitragsreihe untersucht das Ausmaß des Biodiversitätsverlustes, das regulatorische Umfeld und wie sich Dinge ändern.

Sie geht auch der Frage nach, inwieweit dies Anleger betrifft und wie wir eine positive Wirkung in Bezug auf den Schutz von Naturkapital – Naturgüter wie Geologie, Boden, Luft, Wasser und alle Lebewesen – erzielen können.

Dem Finanzsektor und insbesondere der Vermögensverwaltungsbranche kommt eine entscheidende Rolle zu, wenn es darum geht, einen weiteren Verlust an biologischer Vielfalt zu verhindern. In den folgenden vier Bereichen müssen wir mehr tun, um die aktuellen Trends zu stoppen und sogar umzukehren:

1. Politische Fürsprache – dazu beitragen, dass Verpflichtungen keine zahnlosen Tiger sind

Verpflichtungen zum Schutz der Biodiversität gab es schon etliche. So verpflichteten sich letztes Jahr auf der COP26-Klimakonferenz in Glasgow 141 Länder (auf die mehr als 91 % der weltweit verbleibenden Wälder entfallen), die Zerstörung der Wälder und die Verschlechterung der Bodenqualität bis 2030 zu stoppen und umzukehren.

Gleichzeitig schlägt die Europäische Union (EU) eine Verordnung vor, um die von ihr verursachte Entwaldung einzudämmen. Erwartungen zufolge sollte diese Verordnung auch die offiziellen Klassifizierungen ändern, damit Anleger ein stärkeres Augenmerk auf die Auswirkungen des Biodiversitätsverlustes legen.

Dies sind Schritte in die richtige Richtung, aber sie müssen sich auch in verbindlichen Rechtsvorschriften niederschlagen. Durch Zusammenarbeit und politische Einflussnahme können wir uns dafür einsetzen, dass diese neuen Vorschriften die nötige Durchschlagskraft erhalten, damit sie auch tatsächlich befolgt werden.

2. Angemessene Preisgestaltung für Ökosystemleistungen fördern

Der Natur muss ein monetärer Wert zugewiesen werden, so wie wir Kohlenstoffpreise einsetzen, um Anreize für die Dekarbonisierung zu schaffen. In anderen Worten: Der wirtschaftliche Nutzen gesunder Ökosysteme und die finanziellen Kosten ihrer Beschädigung müssen quantifiziert werden.

Der Prozess steckt noch in den Kinderschuhen, aber im Moment konzentriert er sich stark auf die Fähigkeit natürlicher Systeme wie Wälder, Torfmoore und Seegraswiesen, überschüssigen Kohlenstoff aus der Atmosphäre aufzunehmen. Mithilfe von Kohlenstoffgutschriften wird ein Geldwert berechnet.

Eine solche Messung des Werts dieser natürlichen Lebensräume basiert auf einer sehr engen Sichtweise. Es sollte auch möglich sein, anderen Arten und Weisen, in denen natürliche Systeme einen wirtschaftlichen Wert erzielen, einen monetären Wert zuzuschreiben. Wenn man nur Kohlenstoff ins Visier nimmt, wird anderer wirtschaftlicher Nutzen von biologischer Vielfalt übersehen.

Wir können einen Beitrag leisten, indem wir für neue Wege zur Bewertung des wirtschaftlichen Wertes von Ökosystemen eintreten und diese neuen Ideen gegenüber politischen Entscheidungsträgern und Vermögensinhabern vertreten.

3. Innovation in Schlüsselsektoren

Als Investoren können wir durch aktives Engagement und gezielte Anlagen die notwendigen Maßnahmen unterstützen, die für die Umstrukturierung von Schlüsselsektoren erforderlich sind, die den größten Einfluss auf die lebenserhaltenden Systeme des Planeten nehmen können. Insbesondere in drei Sektoren sehen wir große Chancen für Innovation:

  • Lebensmittel und Getränke
  • Landwirtschaft
  • Bauwesen

Die Lebensmittelindustrie ist zum Beispiel der größte Verursacher des Biodiversitätsverlustes. Dieser Industriezweig ist für die biologische Vielfalt das, was fossile Brennstoffe für den Klimawandel sind.

Doch um für eine wachsende Bevölkerung die steigende Nachfrage nach Nahrungsmitteln zu befriedigen, müssen wir die Art und Weise ändern, wie wir unsere Lebensmittel erzeugen. Zu den wichtigsten Innovationsbereichen gehören die Fleischproduktion in Zuchtbetrieben, Proteine auf Pflanzenbasis, Agroforstwirtschaft, regenerative Landwirtschaft und Präzisionslandwirtschaft.

4. Anlagelösungen entwickeln

Wir sind die Verwalter des Geldes unserer Kunden, und unser Ziel ist es, ihnen eine breite Palette von Lösungen anzubieten, die ihren Anforderungen gerecht werden.

Neues Research belegt, dass die Unterstützung für nachhaltiges Wirtschaften sowohl in Industrie- als auch in Entwicklungsländern zunimmt. Die Economist Intelligence Unit hat im Auftrag des World Wildlife Fund ermittelt, dass die weltweiten Online-Suchen nach nachhaltigen Gütern in den letzten fünf Jahren um 71 % zugenommen haben. Unsere eigenen Kunden fragen immer häufiger nach, wie wir es mit der biologischen Vielfalt halten.

Nachdem das Interesse wächst, erwarten wir, dass sich die Entwicklung neuer Anlageinstrumente beschleunigen wird. Als Teil des wachsenden Marktes für naturbasierte Lösungen werden Fonds, die sich auf Anlagen in Unternehmen konzentrieren, die Lösungen für die Biodiversität anbieten, an Bedeutung gewinnen.

So haben wir in Schottland in die Schaffung einheimischer Wälder investiert, um naturbasierte Lösungen als Teil unserer „Netto-Null-Strategie“ zu unterstützen. Dieses Projekt im Cairngorms National Park umfasst mehr als 1400 Hektar und wird eines der größten Projekte zur Aufforstung und Wiederherstellung von Torfland im Vereinigten Königreich darstellen.

Jeder Nettogewinn an biologischer Vielfalt wird von einem Ökologenteam, das auch darüber Bericht erstattet, nach einem führenden, wissenschaftlich fundierten Ansatz überwacht.

Die New York Stock Exchange und die Intrinsic Exchange Group leisten derweil Pionierarbeit für eine neue Anlageklasse, der die Natur und der Nutzen, den sie bietet, zugrunde liegt.

Die Rolle der Finanzinstitute – wir müssen alle mehr tun

Die Finanzinstitute spielen eine wichtige Rolle, wenn es darum geht, die biologische Vielfalt auf unserem Planeten zu erhalten.

Daher ist Biodiversität ein wichtiger Schwerpunkt für uns, den wir in unserem Research, in der Zusammenarbeit mit Unternehmen und mithilfe unseres eigenen ESG (Umwelt, Soziales, Governance) House Score untersuchen.

Außerdem unterstützen wir die Taskforce on Nature-related Financial Disclosures (TNFD), um die Konsistenz der Berichterstattung zu verbessern, und haben den Aufruf zu handeln „Nature is Everyone's Business“ von Business for Nature unterzeichnet.

Aber wir und die gesamte Vermögensverwaltungsbranche müssen noch mehr tun. Dies sind nur die ersten Schritte zu Beginn einer langen, doch sehr wichtigen Reise.

Quelle:

* The Economics of Biodiversity: The Dasgupta Review – Full Report (2021) [online], Dasgupta, P. (Zugriff am 21. Mai 2021)

**„Grain for green“: How China is swapping farmland for forest, Dayne, S., Forest News, Nov. 2017

*** Nature’s Make or Break Potential for Climate Change, The Nature Conservancy, Okt. 2017

**** Future Demand, Supply and Prices for Voluntary Carbon Credits – Keeping the Balance Juni 2021, UCL and Trove research

***** The value of the world’s ecosystem services and natural capital, Nature, Costanza et al., 1997, S. 387; 253-260